Als ich vor einigen Jahren von Zoom-Objektiven auf Optiken mit Festbrennweite umgestellt habe, stellte sich für mich erst einmal die Frage: Bleibe ich bei Canon oder nehme ich Hardware von Tamron oder Sigma unter die Lupe, die bei geringeren Preisen gleichwertige Ergebnisse erzielen. Nach einem Feldtest mit dem Sigma Art 35mm F1,4 DG HSM bin ich schlussendlich bei zuletzt genannter Marke geblieben und bereue den Wechsel im Nachhinein definitiv nicht. Ganz im Gegenteil: Die Art-Serie von Sigma liefert überragende Ergebnisse auf meiner Canon 5D Mark IV.
Nun habe ich in den letzten Monaten bei einem der Objektive aber festgestellt, dass der AF-Betrieb im Phasenverfahren (durch den Sucher) nicht immer 100% sitzt, und zwar konstant zu weit hinten. Diagnose: Back-Fokus. Wie löse ich das jetzt und wie hole ich das letzte bisschen Schärfe aus meinem Sigma? Let's go!
Nachwürzen, wenn's nicht scharf genug ist
Die Genauigkeit des Autofokus hängt von verschiedenen Faktoren ab. Zum einen unterliegen Objektive und Kameras den Schwankungen einer Fertigungskette (zum Beispiel bei der Fräsung im Schneckengang des Objektivs), zum anderen ergeben sich über einen langen Nutzungszeitraum Abnutzungserscheinungen (und dadurch verbundene Dejustierungen im Objektiv oder Kameragehäuse). Früher oder später kann es also passieren, dass der Fokus einfach nicht mehr ordentlich passt. Glücklicherweise ist das aber kein sofortiger K.O. - dafür gibt's das Sigma USB Dock.
Sigma USB Dock - was ist das?
Wenn der AF-Modus nicht richtig arbeitet und oder das Objektiv mit einer neuen Firmware bestückt werden soll, kann man die Geräte elegant an den Sigma Service schicken lassen. Das ist zwar eine tolle Sache, bedeutet in der Regel aber eine Ausfallzeit von einer Woche - im dümmsten Fall nicht nur für das Objektiv, sondern auch für den Body, der ja als Basis einer individuellen Justage unverzichtbar ist. Undenkbar. Dementsprechend hat der Hersteller hier reagiert und das Sigma USB Dock entwickelt. Mit Adapter und zugehöriger Software SIGMA Optimization Pro hat man (fast) alles bei der Hand, um selbstständig die eigenen Objektive auf den neuesten Stand zu bringen und in Angus MacGyver-Manier den unliebsamen Front- oder Back-Fokus zu korrigieren. Und "do-it-yourself" finden nicht nur wir Schwaben super, ist also auch was für Dich wenn du nicht gerade aus Schduagert5 kommst.
Firmware Update
Der Datentransfer läuft per USB, ich verbinde das Objektiv mit dem Dock per Bajonett-Verschluss (genau wie mit dem Kamera-Body), das grüne Kontroll-LED leuchtet auf, ich starte die Optimization Pro Software, die erstmal sich selbst, dann das Objektiv auf eine aktualisierte Firmware prüft, welche ich mit einem Mausklick anstoßen kann (wichtig: währenddessen nicht das USB-Kabel abziehen, sonst hat der Witz ein Loch) und ich bin "up-to-date". It's easy as that.
Dafür alleine würden sich die 50 Euro für das Dock aber noch nicht lohnen. Der wirkliche Mehrwert steckt in der Möglichkeit, den Autofokus manuell zu kalibrieren – auf dem eigenen Body, ohne 1-2 Wochen Wartezeit.

Kalibrierung des Objektivs
Was ist ein Front- oder ein Back-Fokus?
Bevor wir mit der Kalibrierung des Sigma Objektivs beginnen, wäre es erst einmal wichtig zu wissen, warum wir das machen wollen. Wie gesagt, zum einen bekommt man ab Werk ggf. ein Objektiv, das nicht zu 100% seinen Dienst erfüllt, zum anderen können Abnutzung und Stöße die feine Abstimmung der Objektivmechaniken aus der Balance bringen. Das führt dann zu einer allgemeinen oder selektiven Fehlfokussierung. Ein typisches Beispiel hierfür sind Portraitfotos mit offener Blende, bei denen man zwar auf's Auge gezielt hat, am Ende aber bei 90 von 100 Bildern die Ohren oder die Nase gestochen scharf sind - doof, wenn man das am Ende erst in Lightroom merkt. Zu einem bestimmten Prozentsatz mag das ein Anwenderfehler sein. Wenn sich das aber häuft, sollte man seine Arbeitsweise einer Qualitätskontrolle unterziehen oder man schaut sich mal den Autofokus genauer an. Ein Praxisbeispiel (im wahrsten Sinne des Wortes, entstanden bei einem Shooting für einen Zahnarzt), die (Un-)Schärfe in voller Pracht sieht man per Mausklick:
Was brauche ich zur Objektiv-Kalibrierung?
Zusätzlich ist ein zweites Stativ für das beschriebene Fokustool und ein helles Dauerlicht ganz hilfreich, um dem AF-Betrieb seinen Job zu erleichtern und die Streuung der unterschiedlichen Messungen so gering wie möglich zu halten. Das ist aber nur nötig, wenn dein Studio oder Büro einem Vampirkeller Konkurrenz macht. Mit genug Licht kann man sich das aber sparen.
Schau Dir die Checkliste nochmal an. Hast Du alles zusammen? Dann können wir direkt mit der Kalibrierung starten.
Checkliste
- Kamera
- Objektiv
- 2 Stative
- Fokuswerkzeug
- Dauerlicht (optional)
- Maßband oder Zollstock
- Sigma USB Dock
- Computer
- Sigma Optimization Pro Software
Vorbereitung zur Kalibrierung des Objektivs
Bei der Anpassung der Fokus-Einstellung am Beispiel des Sigma Art 35mm f/1.4 gilt es, insgesamt vier verschiedene Abstandswerte zu messen und anschließend zu kalibrieren: 30 cm, 40 cm, 60 cm und unendlich - also theoretisch. Der Abstand, der zwischen der Bildebenenmarkierung³ () der Kamera und dem Fadenkreuz des Fokuswerkzeugs liegen muss, wird in der Software in Feet bzw. in M(eter) angegeben.
Wir positionieren also im ersten Schritt die Kamera in einem Abstand von 30 cm (0,3 m) zum Fokuswerkzeug, stellen auf Offenblende³ (f/1.4), den AF-Modus auf "One Shot" sowie den ISO auf 100 und messen dann in mehrfacher Ausführung (um die Streuung der Ergebnisse anschließend auszumitteln) und übertragen für jeden Distanzbereich individuell die entsprechenden Korrekturwerte über die Software auf das Objektiv. Hierbei gilt: Ist der Fokus hinter unserer "Zielscheibe", dann handelt es sich um einen Back-Fokus und unser Korrekturwert geht in Richtung Kamera, ist also negativ. Liegt er zu weit vor der Zielscheibe, ist der Wert positiv, da es sich um einen Front-Fokus handelt. Wir müssen diesen also "weg von der Kamera" korrigieren.

Fokus-Messung – Schritt-für-Schritt Anleitung
Einzelschritte |
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01. Kamera mit betroffenem Objektiv auf das erste Stativ montieren |
02. Fokuswerkzeug auf das zweite Stativ montieren |
03. Dauerlicht effektiv auf das Fokuswerkzeug richten wenn nötig (Vampirkeller) |
04. Autofokus im Sucher auf ein Einzelfeld als "One Shot" in der Mitte stellen. (Phasenautofokus – jenen wollen wir einstellen) |
05. Mit Maßband Abstand (siehe Software, im Beispiel 30 cm) zwischen Fokuswerkzeug und FP-Indicator4 der Kamera ausmessen und positionieren |
06. Genau darauf achten, dass Kamera und Fokuswerkzeug parallel zueinander ausgerichtet sind |
07. Fokusring auf unendlich drehen, mit halbem Druck auf den Auslöser fokusieren, durchdrücken für Foto, 2-3 Mal wiederholen |
08. Fokusring auf Nahbereich drehen, mit halbem Druck auf den Auslöser fokusieren, durchdrücken für Foto, 2-3 Mal wiederholen |
09. Fotos mit maximaler Vergrößerung vergleichen |
10. Werte genäß Skala schriftlich notieren und Mittelwert bestimmen |
11. Objektiv auf das Sigma USB Dock schrauben |
12. Mit der Sigma Performance Pro Software die Korrekturwerte eintragen und übertragen |
13. Objektiv nach Abschluss wieder mit der Kamera verbinden, Schritt 7 bis 9 wiederholen und gegenprüfen |
14. Wenn nötig Schritt 5 bis 13 wiederholen, bis das Ergebnis zufriedenstellend ist |
Im Anschluss Vorgang für die anderen Abstände (im Beispiel 40 cm, 60 cm und unendlich²) wiederholen |
Welche Werte sind richtig?
Hier geht tatsächlich probieren über studieren. Ich konnte während der Durchführung und Messung meiner Kalibrierung nicht eindeutig dingfest machen, in welchem Verhältnis die aufgenommenen Messwerte zu den Messzahlen in der Software stehen. Hier muss man einfach mal ins Blaue schießen, neu messen und verstehen, wie sich die Ergebnisse verändern um dadurch an die richtigen Werte zu kommen.
Sollen ich jetzt alle Objektive durchtesten?
Grundsätzlich könnte man alle Objektive testen und kalibrieren, wenn man (überflüssig viel) Zeit hat. Am Ende empfehle ich das aber nur für Tele-Objektive mit großen Brennweiten (über 85 mm) und bei sehr lichtstarken Objektiven (unter f/2.0). Bei anderen Optiken ist der Tiefenschärfebereich so groß, dass eine geringe Abweichung des Autofokus unauffällig bleibt. Stellt man allerdings Probleme mit seiner Telebrennweite fest, macht es Sinn, mit solchen anderen Linsen gegenzuprüfen, um festzustellen, ob das Objektiv oder ggf. doch sogar die Kamera selbst der Übeltäter ist.
Wenn Du alles richtig umgesetzt hast, dann sollte dein Objektiv nun optimal eingestellt sein. Das Prozedere ist aufwändig, ja, und wenn man es sorgfältig und gewissenhaft durchführt, kostet das auch entsprechend Zeit. Der Invest armortisiert sich aber erfahrungsgemäß innerhalb der ersten Shootings. Ein kalibrierter AF sitzt bei einer deutlichen Mehrzahl an Motiven on-point und produziert deutlich weniger Ausschuss, und das spart jede Menge Zeit.
Also los, auf an's Werk und viel Erfolg mit den kalibrierten Optiken!
2Einen "unendlichen" Abstand herzustellen, wird etwas knifflig - ich habe mich daher für den doppelten Abstand des letzten Wertes entschlossen.
3Bei einer kleinstmöglichen Blendenzahl an der Kamera hilft eine möglichst geringe Schärfentiefe, Abweichungen besser aufzudecken.
4Die Bildebenenmarkierung (englisch "Focal Plane Indicator", kurz "FP-Indicator") findest Du in der Regel auf der Oberseite Deines Kamera-Bodys
5amtl. Stuttgart